Die Location-Historie |
DIE DSCHUNGEL-HISTORIE |
Ursprünglich gab es an der Nürnberger Straße, an der Grenze zwischen Schöneberg und Charlottenburg in Berlin, den Tauentzienpalast. Der viergeschossige, denkmalgeschützte Gebäudekomplex entstand von 1928 bis 1931 und erstreckt sich an der Nürnberger Straße über die Hausnummern 50 bis 56. Das Haus wurde im Auftrag des jüdischen Geschäftsmanns Heinrich Liemann nach Plänen von Richard Bielenberg und Josef Moser errichtet. Der 150 Meter lange Bau stellt einen der wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit in Berlin dar und war ein Anziehungspunkt im Berliner Nachtleben.
Das Haus war als Bürogebäude mit einer Ladenfront im Erdgeschoss konzipiert. Eine besondere Attraktion war der integrierte Ballsaal, der unter dem Namen Femina-Palast einer der beliebtesten Tanzsäle der 1930er Jahre wurde. Stilistisch waren dort Art déco und Bauhausstil miteinander kombiniert. In den Büroetagen befand sich die Monopolverwaltung für Branntwein. Im Hofkomplex des Gebäudes entstand in den späten 1920er Jahren ein Varietétheater mit einem gläsernen Kuppeldach, das – der Überlieferung nach – geöffnet werden konnte. Viele bekannte Filmdokumente über das Berliner Nachtleben jener Zeit zeigen flackernde Lichtreklamen, wild tanzende Bürger zu Hot Jazz und Charleston sowie bunte Scharen von Nachtschwärmern, die sich im „Neuen Westen“ ganz nach ihrer Façon vergnügten. Hektisch gestikulierende Barkeeper vermochten kaum, den Durst der Gäste zu stillen. Viele der Szenen stammen aus diesem Lokal. Josephine Baker hatte in der „Scala“ an der Lutherstraße (heute: Martin-Luther-Straße) wie auch hier einen ihrer legendären Auftritte im Bananenrock. Da im Zweiten Weltkrieg lediglich der Ballsaal im Quergebäude zerstört worden war, nutzte das KaDeWe den Femina-Palast als Notverkauf bis Mitte 1950. Die Badewanne wurde in den 1950er und 1960er Jahre zum bekanntesten Jazz-Club Berlins. Amerikanische Jazzgrößen wie Count Basie, Ella Fitzgerald oder Duke Ellington waren hier zu Gast. Von 1950 bis 1957 befand sich im Gebäude das Cinema im Tauentzienpalast. Bis in die 1970er Jahre beherbergte der Saal im Hof des Femina-Palastes noch das Berliner Theater, ein Volkstheater mit leichter Unterhaltung aus dem Berliner Milieu. Danach wurde daraus die Kantine des Senators für Finanzen. Der „Dschungel“ war später, nur wenige Schritte entfernt, nicht nur der angesagte Nachtclub der 1980er Jahre, sondern ebenso Drehort für Filme und Heimat für Künstler, die aus der Zeit der 1920er und 1930er Jahre ihre Inspirationen für Modekreationen, Einrichtungen und Lifestyle schöpften. Im erhaltengebliebenen, historischen Gebäude konnten diese Träume nachts für einige Stunden gelebt werden. Das machte einen großen Teil der Faszination des „Dschungels“ aus. In den 1960er Jahren entwarf der chinesische Architekt Chen-Kuen Lee aus der Bauhaus-Schule das chinesische Lokal „San Lin Nan“ an der Nürnberger Straße 53. Lee war Anfang der 1930er Jahre aus Shanghai nach Berlin gekommen, arbeitete an Bruno Tauts Siedlung Onkel Toms Hütte mit, setzte im Märkischen Viertel die Ideen von Le Corbusier vom neuen Bauen um und war über zehn Jahre lang die rechte Hand des Architekten und Stadtplaners Hans Scharoun. |
Ende der 1970er Jahre zog der „Dschungel“ von seinem ursprünglichen Standort am Winterfeldtplatz weg und eröffnete an der Nürnberger Straße 53 eine stylisch schicke Szene-Disco, dem Berliner Pendant des New Yorker „Studio 54“. Allerdings nicht mehr für jedermann. Heruntergelassene Jalousien versperrten den Blick ins Innere, und es herrschte ein strenges Einlassreglement. Man wollte keine Junkies und keinen Schlabberlook mehr sehen.
Die Wendeltreppe zur Empore, das Aquarium, der kleine Springbrunnen und die gelb-schwarzen Mosaik-Fliesen auf dem Boden stammten noch vom chinesischen Lokal „San Lin Nan“. Auch die mit blauem Cordsamt bezogenen kleinen Sofas, die Eames-Stühle aus Drahtgeflecht sowie die trapezförmigen Tische waren noch Inventar aus den 1960er Jahren. Dazu passten kongenial der Cocktail „Gin Fizz II“ und der Eisbecher „Courrèges 1962“. Prominente Stammgäste waren u. a. die Schauspielerin und Sängerin Zazie de Paris, der Musiker Nick Cave, die Entertainerin Romy Haag, die Designerin Claudia Skoda, die Maler Salomé und Martin Kippenberger, der „Schöner Gigolo, armer Gigolo“-Regisseur David Hemmings, der Dichter Detlev Meyer, der Sänger Blixa Bargeld, die Schauspieler Jürgen Vogel, Christoph M. Ohrt, Richy Müller, Ben und Meret Becker und Benno Fürmann sowie die Musiker Inga und Annette Humpe, Iggy Pop und David Bowie. Einige der Stammgäste haben zeitweise auch im Dschungel gejobbt, u. a. Marc Brandenburg, Salomé, Detlev Meyer und Benno Fürmann – als Türsteher, Kellner, Barkeeper oder Putzkolonne. Die Stammgäste bekamen im Laufe der Jahre verschiedene Clubmarken. Die ersten Chips für den Schlüsselbund waren blau, rot, grün und gelb aus durchsichtigem Plastik später aus Messing, dann silbern. Sie garantierten freien Eintritt in den Tanzclub. Die anderen Gäste mussten zehn DM zahlen, wenn sie denn überhaupt von den Türstehern eingelassen wurden. Zu den internationalen Gästen, die bei ihren Berlin-Aufenthalten den Dschungel besuchten, gehörten u. a. Frank Zappa, Mick Jagger, Prince, Grace Jones, Depeche Mode, Liza Minnelli, Bette Midler, Boy George, Sylvester Stallone, Hildegard Knef, Michel Foucault, Claude Brasseur, Robert Mapplethorpe und Barbra Streisand. Mit dem Mauerfall und dem Aufkommen der Techno-Musik geriet der Dschungel Ende der 1980er Jahre ins Abseits und wurde 1993 geschlossen. Der Nachfolger, das Edel-Restaurant „Dschungel“, schloss 1996 wieder. 2002 füllte eine Revival-Party den Club noch einmal mit Stammkunden von früher. Mit dem Abriss des architektonischen Innenlebens 2006 war das Ende des Dschungels endgültig besiegelt. Nach neunjährigem Leerstand beschloss man die Umnutzung des denkmalgeschützten Gebäudes. Die neuen Eigentümer eröffneten 2007 dort das „Ellington Hotel“. Die Fassade und die Innenstruktur des Hauses blieben weitestgehend erhalten. |
Foto: Alexander Lieck (UP4)
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